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Die Türken haben den Joghurt erfun­den. Das behaupten zumin­d­est die Türken. Sollen die Griechen, die Bul­garen, die Inder oder alle anderen glauben, was sie wollen.

Joghurt oder Yogurt“ wird abgeleitet vom türkischen yogur­mak“ , was soviel wie kneten“ oder mis­chen“ bedeutet. Ausser­dem ist Yogurt“ das weltweit am meis­ten gebrauchte türkische Wort. Und der beste Joghurt der Welt kommt sowieso aus Kan­lica. Behaupten die Istan­buler.

Kan­lica ist ein kleiner Ort, hübsch gele­gen auf der asi­atis­chen Seite am Bosporus, gleich nach der zweiten Brücke über die Meere­senge an ihrer schmal­sten Stelle. Wenn ein Tanker die Kurve nicht rechtzeitig kriegt, don­nert er in die Joghurt­man­u­fak­tur von Ugur Özdemir und die Türkei wäre um ein kuli­nar­isches Mon­u­ment ärmer. Seit 1920 wird in der Kan­lica Doga Yogurdu“ der beste Joghurt von Kan­lica hergestellt. Behaupten die Istan­buler. Doga“ heisst Natur“ und genau danach sieht es aus, wenn man den Deckel vom Plas­tik­becher hebt. Ein Anblick, den man jedem Lebens­mit­telin­spek­tor ers­paren sollte. Die leicht gel­bliche Aufw­er­fung über dem schneeweis­sen Joghurt erin­nert daran, dass die ganze Joghurtkul­tur ihren Ursprung wahrschein­lich doch in einem Schaf­s­ma­gen in der zen­tralasi­atis­chen Steppe hatte. Der Vor­gang der Fer­men­ta­tion war noch nie eine hüb­sche Angele­gen­heit. Aber bei vielen Türken beginnt der Spass am Essen sowieso erst bei Kut­telfleck­suppe und gegrill­tem Schafs­darm, und wer sich auch nicht von dem scheus­slichen Joghurt­becherde­sign (das Schlimm­ste der Welt!) abschrecken lässt, kaschiert das Pilzge­flecht ein­fach mit Pud­erzucker oder Honig. Ver­we­gene geben sogar einen Klacks Rosenkon­fitüre drauf – Ein Teufel­szeug!

Ugur Özdemir’s Joghurt ist eine Wucht. Farbe, Geschmack, Kon­sis­tenz, Säure und Fettge­halt sind über­wälti­gend. Dage­gen heis­sen unsere schmal­brüsti­gen Jogis zu recht Fruchtzw­erge. 500 Liter beste Kuh­milch ver­ar­beitet die Molk­erei jeden Tag. Absatzschwierigkeiten hat Özdemir keine. Erfahrung und Sauberkeit bei der Pro­duk­tion seien sicher wichtig. Aber vor allem die Qual­ität der Milch sei entschei­dend. Bis vor etwa 150 Jahren war der Kan­lica-Joghurt rötlich, weil die Kühe ein Kraut frassen, das die Milch ver­färbte. Daher der Name Kan­lica“„ – die Blutige“. Heute steht auf der ehe­ma­li­gen Kuh­weide am Bosporus ein Luxu­shotel und das einzige, was dort noch rot wird, sind die Köpfe der Gäste, wenn sie die Rech­nung erhal­ten haben.

Kan­lica-Joghurt wird nur in Kan­lica verkauft, und er wird täglich frisch hergestellt. Würde man ihn einen Tag länger auf­be­wahren oder in der Hitze trans­portieren, könnte der Lac­to­bacil­lus bul­gar­i­cus“ mit der Rohmilch etwas anstellen, was sogar den Türken zuviel würde. Und da die Istan­buler in Sachen Essen Frischheits­fa­natiker sind, pil­gern täglich Hun­derte nach Kan­lica, um dort in einem der kleinen Lokale am Bosporus den Joghurt frisch aus der Molk­erei zu geniessen. Joghurt ist ein Aus­flugsziel. Zum Joghur­tessen geht man zusam­men mit der Fam­i­lie oder mit Fre­un­den. Man nimmt sich Zeit für seinen Joghurt. Ver­liebte streuen sich gegen­seitig Pud­erzucker in die Becher. Eine Fam­i­lie schlab­bert gemein­sam aus einem Vier­litereimer. Ein ein­drück­licher Anblick für jeman­den, der sein pas­teurisiertes Erd­beer­joghurt am lieb­sten ste­hend vor offener Kühlschrank­türe run­ter­löf­felt.

Abends bringt eine Fähre die Joghurt-Aus­flü­gler nach Istan­bul zurück. Die Glück­lichen, die noch bleiben können, winken mit ihren Plas­tik­löf­felchen. Ein Wind­stoss stre­icht durch die Zweige der Trauer­wei­den, und aus hun­dert Joghurt­bech­ern steigen winzige Pud­erzuck­er­wölk­lein auf und schweben über dem Bosporus.

NZZ am Son­ntag, Juni 2005
Text: Armin Meien­berg
Bild: Renato Regli