Ich höre, also koch ich!
Jetzt sind die Handwerker endlich fixundfertig und sie haben hier im Atelier eine schicke Einbauküche hinterlassen. Ein praktisches Ding mit Schubladen und Schränklein und so. Der Boden ist gelb und niemand merkt mehr, wenn ich den Safranrisotto verkleckre. Die Möbel glänzen schwarz wie ein poliertes Piano und das sieht aus wie im Konzert. Da kann man locker jemanden wie die Anne-Sophie Mutter neben den Kühlschrank stellen, und keiner würde sagen, die sei da fehl am Platz. Sogar der eingebaute Abfallsackhalter hat ein Fusspedal. Wenn man da drauf tritt, flutscht der Kasten mit einem satten c-moll-Seufzer raus und präsentiert seinen Schlund. Aber sonst sind nur komische Geräusche und Piepser in dieser Küchenlandschaft versteckt. Am schlimmsten ist der Dampfabzug. Der macht keine Töne, sondern er vernichtet sie mit seinem nervigen Saugen. Diesen Filter haben mir meine Ateliergspändli aufgebrummt. Damit die Arbeitsmoral ja nicht schon um 11.30 zusammenbricht. Denn wenn aus der Küche der Duft von karamelisiertem Schweinebauch durch die lustlose Arbeitswelt schwebt, riecht es nicht mehr nach Schweiss, Fleiss und Seriosität, sondern nach Laissez-faire und Orgie. Die Arbeitsmoral würde quasi olfaktorisch untergraben. Das geht nicht! Meinen alle. Das ist verständlich. Naja. Verständlich ist nun aber nichts mehr, weil ich beim Kochen nix mehr höre, ausser dem Geschnorchel des Dampfabsaugers. Also, ein Blindflug ist Pipifax dagegen. Weil der Mensch in Sachen Essen so gebaut ist: Das Auge isst mit. Der Rüssel ist für den Wein zuständig. Und das Ohr ist das Frühwarnsystem: Bevor man riecht wann etwas anbrät, kann man schon vorher hören was da in der Pfanne krepiert. Auch ein Wienerschnitzel kann schreien.
Das Zuhören beim Kochen ist eine Erkenntnis, die so alt ist, wie es Feuer und Kochtöpfe gibt. Darum hatten die Neandertaler auch so grosse Ohren. Und da gibt es viele Belege zu dieser Theorie. Wie zum Beispiel dieses Rezept, in sauberem Küchenlatein geritzt, das auf einen angeknabberten Oberschenkelknochen in Polynesien gefunden wurde:
„Wenn er zum Himmel schreit,
ist das Essen bald soweit.
Dann ist er endlich gar,
der weisse Missionar.“
Also mit Dampfabzug wären die Kannibalen schon längst verhungert.
Nun ist das Hören auch ausserhalb des Küchenreviers eine brauchbare Eigenschaft. Aber leider eine immer seltenere. Wer hat nicht das Gefühl, dass man ihm nicht zuhört oder man nicht verstanden wird? Da muss man nur mal fragen, wer die Spülmaschine ausräumen will? Null Echo! Liegt das an mir oder an den iPod-Ohrenstöpseln? Grosses Geheimnis.
Einer der hören will wie die Welt klingt und schallt, was für Geräusche den Sound einer Stadt ausmachen, ist Tod Machover. Er will einen Klangteppich von der Stadt Luzern weben. Er will hinhören und uns alle dazu bringen, vermehrt hinzuhören. Was klingt in meinen Ohren? Was vermisse ich, wenn ich es nicht mehr höre? Was höre ich gerne und warum und wann? Tod Machover, der am Massachusetts Institute of Technology in Boston (MIT) tätig ist, hat es sich im Auftrag von Lucerne Festival zur Aufgabe gemacht, der Stadt und ihren Bewohnern zuzuhören, Klänge, Geräusche und musikalische Ideen auf unterschiedlichste Weise zu sammeln und daraus eine Luzern-Sinfonie für ein Orchester zu komponieren, die am 5. September 2015 im KKL uraufgeführt wird.
Die Zusammenarbeit mit Tod Machover hat unsere Ohren gespitzt und unsere Gehörgänge geschärft. Und nun habe ich auch einen erklärbaren Grund, den Dampfabzug beim Kochen ausgeschaltet zu lassen: Ich muss nämlich genau hinhören! Und darum lasse ich die Bratenwolke ungefiltert durchs Atelier schweben. Und wen das stört: iPod-Stöpsel passen auch in die Nase!
Armin Meienberg, Hörkoch