Über den Erfolg von Erziehungsmethoden lässt sich bekanntlich streiten. Jede Didaktik von Antiautoritär bis Prügelstrafe hat ihre Befürworter. Aber die radikalste und wirksamste Erziehungsmassnahme erfuhr ich im zarten Alter von fünf Jahren. Und zwar von meinem Gotti auf ihrem Bauernhof im Schwarzwald. Zu meiner Freude hatte die Hofkatze geworfen und die jungen Büssis tobten und schissen ungeniert in der Stube rum. Mein Gotti (im Schwarzwald heisst Gotti Dotte, also alles Gnädige und Barmherzige wurde aus diesem Namen entfernt…) packte die kleinen Viecher und drückte sie mit der Nase in ihre eigenen feuchten Häufchen. Nach dreimaliger Wiederholung der Prozedur hatten es die Kätzchen begriffen und waren stubenrein.
Nun geht es natürlich nicht, dass man dem Praktikanten, wenn er typografische Verbrechen begangen oder eine schlimme Farbauswahl zusammengestellt hat, die Nase in den Bildschirm drückt. Schliesslich ist er ja auch einen halben Kopf grösser als ich. Und ihm das Buch “Ornament und Verbrechen” von Adolf Loos um die Ohren zu dängeln ist auch nicht ganz ungefährlich. Also braucht es eine didaktische Überholspur um Christian an seinen kreativen Baugruben und gestalterischen Auffahrunfällen vorbei zu lotsen. Und dieser Weg führt durch unsere Küche.
Essen ist eine Sprache, die Christian Löffel versteht. Und wenn er sich vor etwas fürchtet ist das der Hunger. Das sind ideale Voraussetzungen um ihm die direkten und fatalen Auswirkungen aufzuzeigen, wenn er nicht genau das macht, was man ihm sagt. Beim Kochen funktioniert das. Sonst nicht. Und siehe da: Was für eine Konzentration und Ausdauer er plötzlich an den Tag legen kann. Und was für rasant fortschrittliche Erfahrungen er macht, wenns um die Wurst geht. Unglaublich! 2 Kilo Zwiebeln schneiden? Pipifax! 5 Kilo Kartoffeln schälen? Pillepalle! Sauerteigbrot backen, Schweinebauch braten, Entenbrust tranchieren: Das und viel mehr macht er mittlerweile mit links. Manchmal ein bisschen zu links. Aber Ess-Löffel macht alles mit Lust und Begeisterung. Und mit noch mehr Lust verschlingt er danach sein kreatives Werk.
Kochen und Gestalten haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Das hat Koch-Löffel begriffen. Es kommt immer auf die Zutaten an. Und auf das rechtzeitige Aufhören. Das massvolle Würzen ist entscheidend. Aber auch der völlige Verzicht auf jede Form von Schabernack und Schnickschnack. Und das strikte Einhalten des absoluten Dekorationsverbots. All das hat Christian am Herd schneller gelernt als am Computer. Und vor allem eins hat er kapiert: Reduzieren, reduzieren, reduzieren!
Ganz nach unserem Motto: “Würde das Minimum nicht reichen, wäre es nicht das Minimum.” Die Lust am Reduzieren führt aber bei Christian manchmal zu weit, so dass er souverän beim Gugelhupf die Butter weglässt. Eine hartgebackene Lernerfahrung: Weniger IST weniger!
Falls jemand in der Lebensmittelabteilung im Warenhaus oder auf dem Markt einen noch schlanken, hochgewachsenen jungen, hungrigen Mann mit dampfbeschlagener Brille, vom Zwiebelschneiden geröteten Augen, etlichen Schnittwunden in den Fingern und auffallenden Brandzeichen an Händen und Armen sieht: Der gehört uns!
Text: Armin Meienberg