Es ist nicht Wurst. Schon gar nicht, wenn es sich um eine St.Galler Bratwurst handelt. Bratwurst und Bratwurst aus St. Gallen, das ist ein Riesenunterschied. Da liegen Welten dazwischen. Das erklärte mir mein Freund Jost an einem warmen Sommerabend in unserem Garten. Er ist in St. Gallen aufgewachsen und das erklärt Manches. An jenem Abend stand Jost vor der Feuerstelle unter dem Mammutbaum und fachte ein Feuer an, wie andere es nur am ersten August tun. Grillierende Männer machen mich nervös. Grillierende Männer in weissen Hemden und gebügelter Küchenschürze erst recht. Als dann aus dem Feuer Glut geworden war, kam Jost schnauzbärtig grinsend und mit einem Strauss Kalbsbratwürste auf dem Silbertablett aus der Küche. Bratwürste! Soviel Tamtam und Brimborium für simple Bratwürste, um Himmelswillen! Kein Lamm, kein Schwein. Bratwurst! Ich war enttäuscht!
Für uns Luzerner erstreckt sich der Bratwursthorizont von Braune bis Weisse und nicht weiter. Was in der braunen Schweinsbratwurst steckt, möchte eigentlich niemand wirklich wissen. Dass in der Pelle der weissen Kalbsbratwurst überhaupt etwas steckt, merkt man sowieso nicht. Sie schmeckt nach nichts und wenn doch, hat man zufällig die Papierserviette mitgegessen. Wegen dieser Unwurst musste man den Senf erfinden. Und eine Tube davon legte ich damals beim Tischdecken auf den Tisch. Auf den Tisch mit den St. Galler Bratwürsten! Das hätte mich fast das Leben gekostet.
Als Hanswurst hatte ich damals keinen blassen Dunst um was für ein schützenswertes Kulturgut es sich bei der St. Galler handelt. Und was für eine Glaubensfrage an jedem Zipfel hängt: Schmid, Gemperli, Rietmann oder Schär? Gerad mal 35 Metzgereibetriebe dürfen die St. Galler Bratwurst IGP (Indication Géographique Protégée) herstellen. Und die verwursten sie in drei Formaten: Die normale Wurst, dann die Mittelgewichts-Olma-Bratwurst und zum Glücklichmachen das Schwergewicht, die Kinderfestbratwurst. Zubereitet wird das Wunderding auf dem Grill, am besten über der Holzglut. Dabei muss die Pelle aufplatzen, sonst wird das nichts. (Etwas, das erst perfekt ist, wenn es kaputt ist: Grossartig!) Und dann: Keinen Senf! Bloss keinen Senf!
Dank Jost und seinen Schmidbratwürsten leide ich nun in unserer Innerschweizer Wurstigkeit unter einem Leiden, dass Freud wahrscheinlich als Wurstneid diagnostiziert hätte.
Text: Armin Meienberg