London sei nicht England, sagen alle. London sei ganz anders als der Rest der Insel und man könne da auch wirklich toll essen: Indisch, Thai, Chinesisch, Italienisch und Jamieoliver. Leider besuchte meine zwanzigjährige Tochter Anna diesen Frühling einen viermonatigen Sprachkurs nicht im britischen Schlaraffenland sondern in Brighton am Meer, also auf der kulinarisch komplett falschen Seite des Ärmelkanals.
Ich besuchte Anna trotzdem und ich kapierte ziemlich rasch, wie das wahre England funktioniert: Die Gärtner machen die Frisuren, die Coiffeure kochen, die Köche entwerfen die Häuser und für die Mode sind die Zoowärter zuständig. Unter den Jungen schien eine Wette zu laufen: Wer das affigste Gebüsch auf dem Kopf hat, hat gewonnen und muss nie mehr zur Schule oder so. Und abends im Pub sitzen dann die jungen Damen bunt und problemzonenbetont gekleidetkreischend an der Bar. Die meisten recht mopsig von den vielen Chips, aber trotzdem in Miniröcken und zu eng verpackt in Netzstrümpfen und das sieht aus, als hätte ein Lastwagen eine Ladung Rollschinkli verloren.
Nach dem ersten Abendessen, beschlossen Anna und ich selber zu kochen und die ganze Hostfamily einzuladen. Anna‘s Mum stellte uns grosszügig ihre Küche zur Verfügung. Und wir wollten alles frisch, selbstgemacht und gesund zubereiten und stilvoll servieren.
Wie kocht man in einer Küche, in der vermutlich zum ersten Mal gekocht wurde? Zwischen Tiefkühltruhe und Mikrowellengerät gähnte eine grosse Leere. Wahrscheinlich seien die Töpfe und Schüsseln im Keller, meinte Anna. Aber in England gibt‘s keine Keller. Das grösste Gefäss, dass wir fanden war der BH der Hostmum, der im Gemüsewaschbecken schwamm. Die Kartoffeln für den Härdöpfelstock für acht Personen kochten wir halt schichtweise einzeln in einem Saucentöpflein.
Als wir dann den Tisch decken wollten gabs ein grosses Hallo. Am Tisch? Da steht doch das Sofa und der Fernsehkasten, also bitte? Und man kann doch den Food auf Holzbretter schaufeln, die man sich auf die Knie legen kann. Praktisch, oder?
Unsere selbstgemachten Käseküchli mit selbstgeknetetem Teig waren dann so fein, dass die Mum gleich den Abfallsack durchwühlte, auf der Suche nach der Verpackung, damit sie in Zukunft unsere Tielfkühlquiche einkaufen kann. Der dazu servierte Salat hat grosse Verwunderung ausgelöst und er wurde als nasskalte Belästigung eingestuft und entsorgt. Der Hackbraten war OK, ein Riesenburger den sie grosszügig mit Ketchup und Mayo verzieren konnten. Aber was soll der frische Kartoffelstock, die Apfelsauce und um Himmelswillen die glasierten Rüebli auf dem Teller? Aber der Mülleimer war gross. Erdbeeren mit Holunderblütensabayon zum Moelleux au chocolat waren auch keine gute Idee: Schon wieder etwas Frisches, hey man, jetzt reichts aber!
Es reicht aber noch nicht: Wir hatten Wein eingekauft. Einen wunderbaren Pinot Noir. Aber leider im falschen Glas serviert. Er wurde kurzerhand umgeschüttet und randvoll mit Cherrycoke aufgefüllt. So, jetzt ist er trinkbar!
Und dazu lief im Fernseher Tomb Raider.
Text: Armin Meienberg