Hüzün ist eine umfassende Entweltlichungsweise und eine selbstgenügsame Berauschungshandlung. Nur die Istanbuler beherrschen diese Technik des Aushaltens der Tatsache, dass man sich immer unverstanden und vernachlässigt fühlt. Und das muss gekonnt zelebriert werden. Hüzün darf man nicht mit Melancholie verwechseln. Die ist Firlefanz dagegen. Hüzün ist eine Seelenwurzelbehandlung der tiefgründigen Art. Die beginnt mit der Erkenntnis, dass die Welt schlimmer ist, als du glaubt. Also verbrüderst du dich mit der Ausweglosigkeit. Und da die Türken jede Schuld immer anderen in die Schuhe schieben, sind in diesem Fall verantwortlich: Die Mangelhaftigkeit des Daseins, die hartherzige Wirklichkeit und diese lieblose Welt.
Jetzt brauchst du den ersten Raki.
Den trinkst du am besten im Nardis-Jazz-Külüpte. Dort spielt die Kapelle türkischen Jammerjazz und der klingt so, als ob der Musiker nicht in ein Saxophon, sondern in einen liebeskranken Kater blasen würde. Ideal für Hüzün. Dazu knabberst du Sonnenblumenkerne. Und mit jedem geknackten Kern gelangst du Schritt für Schritt vom Elend des Lebens zur Verzweiflung des Seins. Bazen bu dünya …
Text: Armin Meienberg