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Die Wahl einer Men­gen­satzschrift ist eine ernste Angele­gen­heit. Der Gestal­ter muss logisch vorge­hen und sich auf das Wesentliche konzen­tri­eren. Er entschei­det nach ver­lässlichen Kri­te­rien, wie Les­barkeit und Kon­trast der Schrift. Er ver­gle­icht Strich­führung und sucht den ide­alen Grauw­ert.

Modis­che Strö­mungen, zeit­geis­ter Fir­lefanz und per­sön­liche Vor­lieben haben bei der Wahl einer guten Schrift keinen Ein­fluss. Der Typograf ist Profi, sein Entscheid ist sach­lich und unbestech­lich. So sollte es jeden­falls sein. So funk­tion­iert das aber nicht, wenn der Gestal­ter in einem mul­ti­kul­turellen und inter­diszi­plinär organ­isierten Gross­rau­mate­lier arbeitet. «Hey, Guten­berg!» lärmt mir der 2. Lehr­jahrs­tift Simon über die Schul­ter. «Heutzu­tag gibts auch geile Schriften!» Eine Gara­mond ist also nicht geil? Nee, meint auch Renato, der Grafiker. Eine Schrift, mit Buch­staben, die Füss­chen brauchen um nicht umz­u­fallen, sei ein­fach zu alt. Es lohnt sich nicht, dem let­zten Anhänger des kali­for­nischen Survers und Schriftverun­stal­ter David Car­sons zu erk­lären, dass die Füss­chen Ser­ifen heis­sen und den Lese­fluss unter­stützen. «Lese­fluss ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass die Schrift echt schweiz­erisch ist: Nimm die Hel­vetica!». Gani, vor zwanzig Jahren aus dem Hochland Kur­dis­tans zu uns gekom­men, ist das beste Beispiel für eine miss­lun­gene Über­in­te­gra­tion. «Nimm die Hel­vetica!» meint auch Özgür. «Der Fener­bahçe Spor Kulübü ver­wen­det auch die Hel­vetica in seinem Abze­ichen. Mit Hel­vetica kannst Du nicht ver­lieren!» Aber die Hel­vetica hat keinen schö­nen Fett-Schnitt. «Abi! (Grosser Bruder. Das sagen die Türken immer, wenn sie glauben, etwas besser zu wissen.) Abi, schau Dir mal deinen Bauch an! Du soll­test alles meiden, was fett ist. Nimm eine Hel­vetica light!» Der Typograf ist ein ein­samer Mensch. Auch der frankophile Phillippe ist keine Hilfe. Für ihn zählen nur Schriften auf Bor­deaux-Etiket­ten. Und unserer Putzfrau gefällt die Arial, weil der Name nach Waschmit­tel klingt. Bleibt also nur noch unsere tem­pra­mentvolle mexikanis­che Grafik­erin Juliana. «Chico, eine gute Schrift muss einen schö­nen Namen haben. Einen mit viel Corazón! Es muss der Name einer schö­nen Frau sein!» Endlich ein vernün­ftiger Vorschlag! Darf ich Ihnen die neue Schrift des Sprach­spiegels vorstellen: Sie heisst Joanna.

Text: Armin Meien­berg