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Es gibt diese kleinen Heftchen im Kred­itkarten­for­mat, die der Möchte­gern­weinken­ner heim­lich unter dem Tisch durch­blät­tert, um dann mit Wichtigtuer­mine die Tis­chrunde mit der gespick­ten Botschaft zu verblüf­fen: Der 82er war im Bur­gund ein Spitzen­jahrgang!“

Ein furcht­bares Volk, diese Weinken­ner und rück­ständig sind sie auch. Denn wer schaut heutzu­tage noch auf den Jahrgang eines Weines? Im Zeital­ter von Holzschnitzel, Vaku­umver­dampfer und der Assem­blage-Pan­demie kann der Wine­maker“ auch aus dem ver­reg­net­sten Traubengut ein duf­ten­des Rasier­wasser her­stellen. Wer nichts von Wein ver­steht, schaut am besten bei der Wahl der Flasche auf die Etikette. Aber dafür sollte man ein paar Stil­regeln der Gestal­tung beachten. Grund­sät­zlich gilt: Design = Vor­sicht! Wie bei der Par­fümher­stel­lung ist die Regel: Je schlichter die Etikette, umso ani­malis­cher das Bukett. In der Nase kommt solcher Wein üppig daher, wie ein frisch geschmück­ter Pfin­gstochse, auf der Zunge liegt er dann flach wie eine über­fahre­nen Katze und im Abgang stiehlt er sich wie ein nasser Ham­ster davon. Also: Weniger IST weniger! Eine gepflegte Rustikalität sollte eine Weinetikette schon ausstrahlen. Vor allem bei franzö­sis­chen Weinen. Wie ein franzö­sis­ches Hotelz­im­mer mit min­destens vier ver­schiede­nen Tape­ten bek­lebt ist, muss ein ver­trauenser­weck­endes Etikett min­destens fünf ver­schiedene Schrift­typen und Schrift­grössen enthal­ten. Eine Bor­deauxflasche die nicht ein Kleber im Raubrit­ter­ro­matik­stil ziert, muss Fusel sein. Auch die ital­ienis­che Weinetikette hat ihre eige­nen Geset­zmäs­sigkeiten. Hier sollte man den Grund­satz beachten, der für den ganzen Stiefel Gültigkeit hat: Je Süden, desto The­ater. Eine apulis­che Prim­i­tivoflasche muss strahlen wie eine Mon­stranz, sonst ist der Wein vom Teufel. Aber am schlimm­sten sind ges­tanzte Etiket­ten. Wer eine orig­inelle Form einem schlichten rechteck­igem Papierrstück vorzieht, der hat etwas zu ver­ber­gen. Das Ver­brechen geht dann meis­tens in der Flasche weiter.

Einzig die Beschrif­tun­gen einiger Tessiner Mer­lots garantieren trotz min­i­mal­is­tis­cher Typografie einen puren Genuss. Die Etiket­ten sind mit der soli­den Hel­vetica gesetzt und die Gestal­tung tendiert zum Nullde­sign. Meis­tens ist auch der Wein in der Flasche rein­sor­tig und fern von allen modis­chen Tut­tifrutti-Ver­schnit­ten. Gegen diesen kruden Wein­puris­mus hilft nur das fröh­liche Trinken aus einem passenden Gefäss: Bloss kein Riedel­glas! Ein Boc­calino ist in diesem Fall die richtige Tasse! Schön üppig handbe­malt und mit dem Schriftzug Ticino“ drauf.

Text: Armin Meien­berg